Wie mächtige Interessengruppen die Bargeldabschaffung vorantreiben – ein Artikel von Norbert Häring

Warum die IT-Lobby den Bundestag als Werbebühne für die “Welt ohne Bargeld” missbrauchen durfte

von Norbert Häring.

Am 18. Juni fand im Bundestag etwas statt, was man ohne weiteres einen Skandal nennen könnte. Aber alle beteiligten Parlamentarier und Experten fanden es offenbar so normal, dass niemand auch nur ein Wort über die sonderbaren Umstände verlor. Ein Musterbeispiel in Lobbykratie.

Wer dem Fachgespräch “Welt ohne Bargeld” im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung live im Parlamentsfernsehen folgte, der wohnte einer sehr einseitigen Veranstaltung bei. In der Mediathek kann man sich das auch noch nachträglich antun . Der Link findet sich im Schriftartikel

Der Titel ließ natürlich schon so etwas erahnen. Der Moderator zeigte seine Parteilichkeit, indem er seinem Ärger über kleine Einzelhändler und Gaststätteninhaber freien Lauf ließ, die keine Karten akzeptieren wollen. Mit seinen Fragen nötigte er die Vertreter von Banken und Einzelhandel, sich dafür zu rechtfertigen, warum sie immer noch mit diesem unpraktischen, schmutzigen Bargeld hantieren. Der Vertreter des IT-Verbandes Bitkom durfte, assistiert von einem Startup-Verband, mehrfach ohne Diskussion fordern, dass man nicht Bargeld schützen, sondern stattdessen dafür sorgen müsse, dass alle Einzelhändler und Gaststätten (alle) Karten akzeptieren.

Ein Wissenschaftler pries die Datenkrake Paypal als den tollsten aller Zahlungsverkehrsdienste, ein anderer forderte summarisch “mehr Geschwindigkeit bei der Digitalisierung”. Obwohl Datenschutz mehrfach als wichtiges Thema in Sachen Bewahrung der Möglichkeit zum Barzahlen genannt wurde, hatte man irgendwie “vergessen”, einen Datenschützer beizuziehen. Wenn jemand von den anderen Experten aus der Rolle fiel, oder ein Parlamentarier das Thema aufbrachte, wurde es mit tätiger Hilfe des Moderators sofort wieder fallengelassen und nicht weiter verfolgt. Dasselbe geschah mit dem Aspekt, dass Bargeld nun einmal gesetzliches Zahlungsmittel ist, sodass Welt ohne Bargeld auch bedeutet, Welt ohne gesetzliches Zahlungsmittel.

Wie kommt so eine Werbeveranstaltung für die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs im Bundestag zustande, in einem Bundestagsausschuss, in dem alle Parteien vertreten sind? Zumal alle diese Parteien behaupten, sie wollten dem Bargeld nichts Böses. Und bei zweien, der FDP und der AfD, stimmt das sogar. Die größten Zweifel darf man bei der SPD haben, die den Ausschussvorsitzenden stellt. Die SPD-Fraktion im Bundestag hat schon einmal eine Resolution verabschiedet, die eine Barzahlungsobergrenze und die Abschaffung des 500-Euro-Scheins forderte.

Eingebettete Lobbyisten

Die Antwort darauf, wie so etwas zustande kommt, ist vielsagend, über das Bargeld-Thema hinaus. Wie ich bereits in früheren Beiträgen dargelegt habe, hat das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestags das ganze “Welt ohne Bargeld”-Projekt, von der Konzeption des Untersuchungsprogramms über die Auswahl der Experten und das Schreiben eines Thesenpapiers, bis hin zur Moderation des “Fachgesprächs” an die VDI/VDE-IT ausgelagert. Auch den Auftrag für eine Expertenstudie hat dieses Unternehmen im Auftrag des Bundestags vergeben und die Fragestellung für die Expertise formuliert.

Die Abgeordneten und die Öffentlichkeit erfahren also nur das, was sie nach dem Willen von VDI/VDE-IT erfahren sollen, und nur aus Blickwinkeln, die das Unternehmen ausgesucht hat.

Das wirkt irgendwie nicht richtig. Aber die Abgeordneten scheinen es ganz normal zu finden. Keiner sagt etwas über das unwürdige Schauspiel, oder protestiert gar. Liest man nach, was das für ein Unternehmen ist, wird schnell klar, warum das so ist. VDI steht für Verein Deutscher Ingenieure, VDE für Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik. Letztere Lobby der IT-Branche hat sich mit den Ingenieuren zusammengetan um VDI-VDE-IT für genau solche Aktivitäten zu gründen wie bei “Welt ohne Geld”. Das gemeinsame Unternehmen ist laut Wikipedia “Projektträger sowie Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen für verschiedene Bundes- und Landesministerien, die Europäische Kommission sowie die Finanzwirtschaft und die Industrie”.

Es handelt sich hier also um institutionalisierte Lobby-Einflussnahme auf Parlamentarier und Bürokraten. Die Abgeordneten haben sich schon so daran gewöhnt, dass sie es ganz normal finden, dass Interessengruppen auf solchen Wegen Gesetze im eigenen Sinne vorformulieren.

Das geht noch weiter. Wenn so ein Gesetz dann im Sinne des VDE geschrieben und erlassen ist, zum Beispiel mit einem staatlichen Förderprogramm für die Mitgliedsunternehmen des VDE, dann kümmert sich die Lobby zur Entlastung der Bürokraten auch gleich darum, das Geld zu verteilen: Aus der Unternehmenspräsentation:

Als Projektträger unterstützen und beraten wir Bund, Länder und EU dabei, öffentliche Mittel effizient einzusetzen. Wir beraten öffentliche Auftraggeber bei der Erstellung von Forschungsprogrammen und motivieren gleichzeitig Forschungseinrichtungen und Industrie, ihre erfolgversprechenden Vorhaben zur Förderung einzureichen. Unsere Fachleute begutachten die Förderprojekte im Hinblick auf ihre Innovationspotenziale und Finanzierbarkeit. Projekte und Netzwerke, die Fördergelder von unseren Auftraggebern erhalten, betreuen und managen wir während der gesamten Projektlaufzeit. Das heißt, wir verwalten die Gelder, kümmern uns um das Berichtswesen, übernehmen das Controlling und stehen als Ansprechpartner für Mittelgeber und Projektnehmer jederzeit zur Verfügung.

Das ist alles unheimlich effizient. Aber ist es auch demokratisch? Ich würde es lobbykratisch nennen. Heraus kommt dann zum Beispiel eine Welt ohne Bargeld, ganz im Sinne des VDE, obwohl angeblich keine Partei das wollte. Heraus kommt eine elektronische Patientenakte, die weder Ärzte noch Patienten wollen, aber der VDE, oder ein gesamteuropäischer freier Markt für Patientendaten, den niemand braucht, außer den IT-Datenkraken, und viele fürchten. Heraus kommen Autos, die alle Daten über ihre Nutzer sammeln und weitergeben. Und niemand kann sich dem entziehen, weil die EU sogar zur Pflicht gemacht hat, Autos mit Internetanschluss auszustatten.

Und unsere Volksvertreter schlafen den Schlaf der Gerechten und freuen sich an der unglaublichen Effizienz, mit der die Interessengruppen ihnen und den Bürokraten die Arbeit abnehmen.

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