Gefahr auch für Telesur
Multinationales TV-Projekt in Venezuela durch Umsturzpläne der Contras bedroht
Von Volker Hermsdorf
Leslie Mazoch/AP Photo
»Stimme des Südens«: Eine der Auftaktsendungen von Telesur im Oktober 2005 in Caracas
Der von den USA organisierte Putsch gegen die Regierung Venezuelas hat nach Einschätzung des Journalisten Aram Aharonian neben dem Zugriff auf Erdöl und andere Bodenschätze auch das Ziel, den alternativen Informationskanal Telesur abzuschalten. In einem Beitrag des linken Onlineportals Rebelión bezeichnete der Mitbegründer und ehemalige Telesur-Vizepräsident den mehrstaatlichen Fernsehsender am Mittwoch vergangener Woche als »das bisher wichtigste strategische Kommunikationsprojekt in Lateinamerika und der Karibik«.
Wohl gerade deshalb wird der im Juli 2005 auf Initiative von Fidel Castro und Hugo Chávez als Alternative zu globalen westlichen Mediengiganten geschaffene Sender, der sich selbst als »Stimme des Südens« bezeichnet, seit seiner Gründung von lateinamerikanischen Medienmogulen und US-Politikern attackiert. Jetzt ist Telesur erneut ins Fadenkreuz der Putschisten, deren eigene Fake News täglich durch Überprüfung der Fakten entlarvt werden, geraten. Lateinamerikanische Linke schlagen deshalb Alarm. Die argentinische Journalistin Stella Calloni ruft zur Unterstützung des Senders auf, »damit das gesagt werden kann, was geschieht und wovon niemand etwas weiß«. Sie fordert Kollegen in aller Welt dazu auf, über die »Realitäten« zu berichten, »die in den Schlagzeilen nicht auftauchen«. »Wo können wir uns noch informieren, wenn Telesur zerstört wird?« warnt auch Aharonian.
Als Korrektiv zu den Berichten privater Medienkonzerne wie »Grupo Globo« (Brasilien) und »Grupo Clarín« (Argentinien), den US-Nachrichtengiganten CNN oder der britischen BBC, ist Telesur für viele Beobachter unentbehrlich geworden. Solide recherchierte Hintergrundberichte über die Folgen der US-Sanktionen und der gegen Venezuela verhängten Finanzblockade oder die Verbreitung von Fotos brandschatzender Krimineller, die von den Mainstreammedien als »pazifistische Oppositionelle« dargestellt werden, durchkreuzen das Manipulationskonzept der Putschisten. Für Washington und die lateinamerikanische Rechte ist der Nachrichtensender deshalb vor allem ein störendes Bollwerk gegen die eigene bellizistischen Propaganda, aber auch ein gefährliches Medium, das, so spottet Aram Aharonian, »den Virus der Bolivarischen Revolution« verbreitet.
Angriffe auf kritische Medien gehören in Venezuela seit rund 20 Jahren zum Repertoire der Rechten. Zu den ersten Aktionen der Opposition beim Staatsstreich vom 11. April 2002 gegen den 1998 gewählten Präsidenten Hugo Chávez gehörte deshalb auch die Bombardierung des staatlichen venezolanischen Fernsehens. Andrés Izarra, Nachrichtendirektor des Privatsenders RCTV, bezeugte später vor der Nationalversammlung, dass er von Marcel Granier, dem Besitzer des Senders, die Anweisung erhalten hatte, am Tag des Putsches und den folgenden »keine Informationen über den entführten Präsidenten Hugo Chávez, seine Anhänger, Minister und alle anderen, die mit ihm in Verbindung gebracht werden könnten« zu senden. Die beherrschenden Medien behaupteten statt dessen wahrheitswidrig, Chávez sei zurückgetreten. Während dessen Anhänger in Massen auf die Strassen strömten, sendeten die privaten Fernsehsender rund um die Uhr »Tom und Jerry«, Unterhaltungsmusik oder Seifenopern.
Seit das drei Jahre später gegründete TV-Projekt Telesur derartige Manipulationen erschwert, ist der Fernsehsender selbst zur Zielscheibe der Reaktion geworden. Als Nicolás Maduro nach dem Tod von Hugo Chávez am 14. April 2013 zum neuen Präsidenten gewählt worden war, griffen bewaffnete Contras einen Tag später eine Reihe alternative Radio- und Fernsehsender in verschiedenen Provinzen des Landes an. Auch die Telesur-Zentrale war ein Ziel des Mobs. Bei von der Opposition provozierten Ausschreitungen im Frühjahr 2014 richtete sich die Wut der Extremisten dann ebenfalls gegen Journalisten und Mitarbeiter des Senders, der dem Meinungsmonopol der Konzernmedien hartnäckig zusetzte. Und bei einem weiteren Putschversuch im Februar 2015 erklärten Regierungsgegner die Telesur-Zentrale in Caracas sogar zum »taktischen Bombardierungsziel«. Nach dem gescheiterten Staatsstreich warf Nicolás Maduro der US-Botschaft vor, in die Umsturzpläne verwickelt zu sein. Die beabsichtigte Bombardierung von Telesur entspreche der bekannten US-Strategie, und das Ausschalten kritischer Medien gehöre zum Standardrepertoire prowestlicher Putschisten beim »Regime-Change«.
Das bestätigen Erfahrungen aus Europa und dem Nahen Osten. So legten NATO-Bomber am 23. April 1999 die Zentrale des staatlichen serbischen Radio- und Fernsehsenders Radio Televizija Srbije (RTS) in Schutt und Asche und töteten 16 Mitarbeiter. Die US-Luftwaffe bombardierte 2001 die Büros des Fernsehsenders Al-Dschasira (englisch Al Jazeera) in Kabul und 2003 die in Bagdad. Als Telesur und Al Jazeera etwas später ein Kooperationsabkommen vereinbarten, warnte der US-Abgeordnete Cornelius McGillicuddy alias Connie Mack vor »der Schaffung eines weltweiten Fernsehsenders für Terroristen«. Dieser Hinweis wurde nicht nur von den Putschisten in Venezuela dankbar aufgegriffen. Warum der Sender gerade jetzt wieder zur Zielscheibe geworden ist, versteht, wer den spanischen (https://www.telesurtv.net/) oder englischsprachigen Dienst (https://www.telesurenglish.net/ ) des Nachrichtensenders verfolgt.
junge Welt, 28. Februar 2019